SPIEL, SPASS UND SPÜLUNG
Unveröffentlicht – August 2019
Scheiße sagt man nicht war mal. Unsere Hinterlassenschaften sind salonfähig geworden. Unsere Sprache ist signifikant fäkallastig, allgemein und privatim, genauer gesagt: die im Kinderzimmer. Sobald unsere Sprösslinge aus den Windeln gewachsen sind und selber „machen“, werden die Resultate zum Kicherthema. Zum Dauerbrennerthema. So sehr zum Thema, dass sich die Spieleindustrie in vorauseilendem Gehorsam dem ganzen Sch… zunehmend widmet, sie „darmfloriert“ sozusagen – mit grotesken Auswüchsen: Da gibt es etwa „Ach du Kacke“, „das witzige Spiel ums Häufchen“, oder „Kacka-Alarm“ mit – aufgepasst, Gastroenterologen! – gurkenähnlichem braunem Gebilde, das im Fluge zu fangen ist. Wer´s schnappt, bekommt „zwei Chips mit Toilette!“ Juchee, ein Mordsspaß, insbesondere wenn der Nachwuchs das Spiel dann mit echten Requisiten ausprobiert. „Mister Pups“ ist immerhin nur ein Kartenspiel, allerdings mit Pups-Gerät – wer braucht denn dazu ein Gerät!? – zu betätigen entsprechend der Zahl auf den Mister-Pups-Karten. Und, heiliger Bimbam, was denn noch, ach ja, das „Pipi Party Duell“ mit zwei Modelltoiletten samt Spülkasten und viel Gespritz, was ´ne Gaudi, vor allem für den, der danach saubermachen muss. Im nassen Element bleibt auch das Fisch-die-Kacke-Spiel, niedliche Häufchen in diversen Formen mit kindgerecht goßen Augen, zu angeln in der vollen Badewanne, in Zeiten von Wasserknappheit ein besonders intelligentes Konzept, aber immerhin: „für die ganze Familie“. Das Klosett vereint. Unter den Kinderbüchern macht sich die appetitliche Mode ebenfalls breit: „Welches Tier kackt denn hier?“ verspricht eine spannende Spurensuche „zum Lieblingsthema von Kindergartenkindern“. Eltern dürfen sich freuen auf eine Sammlung, die zum Himmel stinkt. Außerdem: „Die Kackwurstfabrik“ für Kinder zwischen sieben und neun (!): „Unser Körper ist eine faszinierende Kackwurst auf zwei Beinen.“ So kann man´s auch sehen. Doch die Fäkalsprache hat auch Tradition: „Sehr geehrter Herr Rezensent! Ich sitze im kleinsten Zimmer meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben“, kritzelt „hochachtungsvoll“ Komponist Max Reger. Welcher Takt, welche Dezenz und zugleich Plastizität! Es fällt kein einziges Fäkalwort und doch springt sozusagen das Bild durch die Brille direkt ins Auge! „Ich scheiße schon 20 Jahre aus dem nämlichen Loch und ist doch noch nicht verrissen“, so um einiges direkter der Schöpfer allerschönster Musik, nein nicht die, sondern wirkliche, echte Klassik, nämlich Wolfgang Amadé Mozart, dem ob seiner fäkalischen Obszönitäten das „Tourette-Syndrom“ zugeschrieben wird. (Was eigentlich niemanden was angeht, denn Mozart hat die „Sauereien“ in seinen Briefen geäußert und nicht auf Facebook gepostet!) Alfred Einstein fand deshalb „vieles am Menschen Mozart bedauerlich und befremdlich“. An der Gegenwart heute ist ebenfalls vieles bedauerlich und befremdlich – doch muss es das schon im Kinderzimmer sein? Davon zeugen auch Bücher wie „Der Aufstieg des Mittelfingers“ – bleibt zu hoffen, dass es bald eines über seinen Abstieg gibt. Ende der Glosse. Ich muss mal.
DIESE JUNGE FRAU WIRD KAPITÄNIN
Helena Gramlich steuert Containerschiffe über die Weltmeere. Das Berufsziel der 19-Jährigen aus Kissing: Kapitänin.
Augsburger Allgemeine Zeitung · 07. Juni 2018 · Text: Stephanie Knauer
Wenn Helena Gramlich das Steuerrad dreht, bewegt sich ein Koloss. Rund 330 Meter lang und 40 Meter breit war zum Beispiel ihr „Fahrschulgefährt“, das Ausbildungs- und Containerschiff „Chicago Express“ mit beeindruckenden 8749 Containern Ladekapazität. Helena Gramlich aus Kissing begann im August 2016 eine Ausbildung als Offiziersassistentin bei der Reederei Hapag-Lloyd und fuhr ein Jahr lang als Azubi zur See, durchquerte die Meere und legte in Häfen von vier Kontinenten an. Dass sie in einem klassischen Männerberuf arbeitet und noch dazu aus dem Alpenvorland stammt, findet sie nicht erstaunlich. Ganz anders viele Menschen, die sie zum ersten Mal treffen. Die reagieren dann mitunter mit: „Du siehst gar nicht so aus“. „Wie muss man denn in meinem Beruf aussehen?“, kontert sie dann.
Ihr Vater wollte schon zur See, erzählt sie, entschied sich aber dagegen: Damals war die Ausbildung umständlicher und länger, die Trennung von der Familie wäre zu lange gewesen. Trotzdem war Helenas Berufswahl für ihre Eltern anfangs eine Überraschung. Inzwischen sind sie stolz darauf und haben ihre Tochter sogar schon einmal an Bord in Hamburg besucht.
Auf dem Ausbildungsschiff gibt es sogar ein Klassenzimmer
Angefangen hatte Helenas Leidenschaft für die Seefahrt in den Sommerferien 2015 mit einem Praktikum bei Hapag-Lloyd. Sie wollte keinen normalen Bürojob, erinnert sie sich. Sondern einen, der ihr Interesse an Naturwissenschaften und Sprachen verbindet. In fünf Wochen fuhr sie mit sieben weiteren Praktikanten – darunter vier Frauen – die berühmte Linie von Hamburg nach New York und zurück und lernte die Arbeit an Bord eines Containerschiffes kennen. Im Maschinenraum durften sie mitschrauben und an Deck streichen. Die Kommandobrücke war allerdings tabu. Dafür machte sie viele Ausflüge an Land. „Im Berufsleben bleibt dafür keine Zeit mehr“, sagt Helena. „Wir kommen weniger an Land, als sich die Leute das vorstellen.“ Mit einer Siebentagewoche und mindestens 60 Stunden Arbeitszeit bleibt nicht viel Raum für Freizeit.
Die 19-Jährige ist ein ruhiger, besonnener Typ, „auch nicht sehr gesprächig“, sagt sie von sich selbst. Sie genießt es, wenn sie während der Arbeit auch mal für sich alleine ist – auch wenn Teamarbeit und Kommunikation auf dem Schiff sehr wichtig sind. Nach einem einmonatigen Sicherheitslehrgang in Elsfleth, Niedersachsen, begann ihre Ausbildung. Zunächst gemeinsam mit anderen Azubis auf demselben Ausbildungsschiff. „Dort gibt es sogar ein Klassenzimmer für den Theorieunterricht“, berichtet Helena. Danach dann als einziger Azubi mit einer kleinen Crew auf Containerschiffen. Auf ihrer ersten Tour fuhr sie in 14 Wochen nach Kanada, China und zurück, dann neun Wochen Hamburg-Südamerika-Hamburg. Zwischen den Reisen hatte Helena Urlaub. Ausbilder war der jeweilige Erste Offizier.
Um Australien hat Helena Wale und Delfine gesehen
Auf dem Ausbildungsplan standen Brückenwache, Navigation, Positionsbestimmung und Kompasskontrolle. Auch wie man eine Seekarte richtig liest, lernte die 19-Jährige. Und natürlich, wie man ein Schiff steuert. Fährt es in den Hafen ein, wird die Selbststeuerung nämlich ausgesetzt und nach Anweisungen von Lotsen per Hand gelenkt. Als sie das erste Mal in einen Hafen einfuhr, war die Kissingerin noch ziemlich aufgeregt. Inzwischen ist sie am Steuerrad ziemlich gelassen. Auch die anfängliche Seekrankheit hat sie überwunden.
Ein paar kleine Abenteuer hat Helena auf ihren Fahrten über die Weltmeere auch schon erlebt. Um Australien hat sie Wale und Delfine gesehen. Einmal wurde ihr Schiff angefunkt, um nach einer Yacht zu suchen, die vermisst wurde. „Mit der Suche haben wir einen halben Tag verloren, wurden aber nicht fündig“, erinnert sie sich. Zum Glück aber wurden beide Passagiere samt ihrer Hunde später doch noch geborgen.
Nächste Station: Studium in Bremen
Inzwischen hat Helena Gramlich ihre Ausbildung abgeschlossen. Zum Wintersemester beginnt sie in Bremen „Internationales Schiffsmanagement“ zu studieren. Bis dahin möchte sie noch einige Praktika an Bord absolvieren, auch auf einem Kreuzfahrtschiff. „Um zu sehen, ob mir das gefällt“, sagt sie. Ihr Ziel ist es, Kapitänin zu werden. Dafür braucht es mindestens drei Jahre Berufserfahrung an Bord.
Auch wenn es immer noch recht wenige Kapitäninnen gibt, ist es für Frauen mittlerweile an Bord wie für die männlichen Kollegen, findet Helena. Etwas mehr Rücksicht nehme die Crew vielleicht bei körperlich schwerer Arbeit. „Manchmal haben die Männer mir etwas hinterhergetragen, dabei hatte ich es gar nicht darauf angelegt“, berichtet sie. Doch Höflichkeit schadet wohl auch auf einem Containerschiff nicht.